Seit wann laufen
denn alle jackenlos mit frohen Gesichtern durch die Stadt und nerven? Wie
Leute, die im Kino hinter einem sitzen und bei jedem bekannten Schauspieler,
der im Film auftaucht erstmal laut seinen Namen aussprechen müssen. Wie Hunde,
die ständig ihr Bein zum Pinkeln heben.
Wieso denken denn alle, dass der
Frühling ihnen gehört?
Warum schlendern
jetzt alle durch die Gassen und Straßen und Ach! Wie nett! Lassen sich vor
Blumenkübeln fotografieren. Wieso nicht vor überquellenden Mülleimern?
Und klar,
Baguettestangen und Ketchupflaschen ragen schon aus allen Fahrradkörben und
sogar aus Taschen von Frauen in pastellfarbenen Etuikleidern.
NEIN! möchte ich
rufen, Pssst! Seid doch mal still! Hört doch mal her! Noch nicht!
Für Grillgut ist
der Sommer da.
Im März gibt es
diese ersten warmen Tage, an denen die Fenster, Türen, Jackenknöpfe,
Cabrioverdecke, auch Herzen aufspringen, wie Dornröschen, nach langem
Winterschlaf.
Die Vögel
zwitschern schon früh um halb sechs, die letzten Partygäste wanken jetzt im
Morgenlicht nach haus. Zurückgekehrte Eisdielenbesitzer reißen die bunten
Papierbögen, mit denen im Winter die Fenster verhängt waren, von einem Tag auf den
anderen herunter, polieren die Scheiben und befüllen die Theken, vielleicht mit
neuen Sorten, oder mit neuen Namen für alte Sorten. Die Cafés stellen wieder
Tische raus und hängen bunte Decken über Stühle. Installation von Kissen- und
Kuchenstapeln in Reichweite potentieller Gäste.
Samstags holt man
jetzt die platten Räder aus dem Keller und hat sogar Lust, Altglas wegzubringen
oder noch schnell eine Runde laufen zu gehen.
Der März ist die
Zeit für Übergangsjacken, Städtetrips, den klassischen Halbschuh.
Und klar, jeder
sitzt nun in den Startlöchern, irgendwie stehen alle Zeichen auf „gehe über
Los!“ Wenn man es schafft, die Steuererklärung rechtzeitig abzugeben, zieht man
dann in ein paar Monaten vielleicht noch etwas Geld ein. Aber Obacht!
Man sollte sich
nicht weiter (vorwärts) wünschen als man es ist, sagte neulich eine weise
Freundin beim Spazierengehen am ersten Sonntag im März.
Es war sonst fast
keiner unterwegs. Der Winter steckte den Bäumen und Sträuchern, den Ästen, der
Wiese, dem Moos, ja selbst dem Bach noch in den Knochen. Und trotzdem lag schon
Frühling in der Luft. Der Wind nicht mehr so kalt, wie noch vor ein paar
Wochen, das grau nicht mehr nur grau, sondern grüngrau, ins bräunliche, ein
graugrünbraun, das auch ein bisschen ins bläuliche hinüber spielte (um es mit
Loriot zu sagen).
Das Schöne an
dieser Zeit ist, dass alles noch vor einem liegt: das große Knospen und Blühen
und Ah! Und Oh! Bald werden Blumen pop-up-artig aus Kästen und Beeten und
Wiesen sprießen, Picknickdecken sich auf Wiesen aus- Tagestouristen in Bussen
an-rollen. Bald...! Schlangenbildung vor Innenstadteisdielen und Bankautomaten!
Trägerlose Tops, kurze Hosen. Bald...
HALT.
Moment mal, ist
das etwa GRILLGERUCH, der da vom Park rüberweht?
Kam mir da gerade
eine Frau im Sommerkleid entgegen? Trägt denn jeder in der Stadt plötzlich eine
Eistüte vor sich her, mit mindestens drei Kugeln?
Und Sonnenbrille?
Wieso hat der Typ mit den Flipflops auf der anderen Straßenseite schon so
braune Beine? Lagert denn insgeheim JEDER seit Mitte Februar einen beachtlichen
Vorrat gekühltes Bier und Radler bei sich im Kühlschrank falls es mal 15 Grad
im Schatten hat?
Noch ist März:
blasse Beine und Gebäck. Vorfrühlingssausen. Still hüpfende Vorfreude und
Schüchternheit, ja! Schüchternheit! Sommersprossen. Langsamkeit und Limonade.
Zögern. Zoobesuche. Von mir aus erste Sonnenbrände, die man sich aus Versehen
auf der ersten, kleinen Radtour holt.
Es sind doch
jetzt die Tage auf Treppenstufen zu sitzen. Die Tage der 1000 Möglichkeiten und
des Konjunktivs. Sich wundern, dass die Sonne schon so wärmt.
Nichtsdestotrotz,
die Treppenstufen sind noch kalt. Der Himmel könnte jeden Moment wieder
zuziehen. Aber falls es wieder zu regnen beginnt, könnte man sich unter ein
Eisdielen-Vordach flüchten und die erste Kugel Panna-Cotta-Eis bestellen, im
Becher nicht in der Waffel. Es wären auch fast keine Menschen da, und wenn, nur
trübe Mienen, und man hätte den Frühling doch noch kurz für sich allein!
Erschienen in: Schwäbisches Tagblatt, Kulturphänomene (79), 21.03.2014
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