Dass er 17 Mal von Zuhause ausriss
und 16 Mal zurückgebracht wurde. So kündigt ihn ein Mann im Pullover an, selbst
Musiker, Pete Seeger, der dieses Jahr im Januar gestorben ist.
Am 26. Juli 1964 betritt er
unauffällig die Bühne, fast als wäre er gerade zufällig hier vorbei
gekommen. Jemand schraubt vier Mikrofone auf seine Höhe. Er dreht das
Ding vor sich wieder ein Stück runter. Vielleicht schraubt man Menschen, die
man gut findet, automatisch ein Stück hoch, sich selbst ein Stück runter.
Vor einer gestreiften Leinwand auf
einer kleinen Bühne vor einem großen Publikum das größtenteils auf der Wiese
sitzt, steht er, mit umgeschnallter Gitarre und Mundharmonikahalter um den
Hals.
Das Publikum jubelt. Sitzen und
jubeln schließen sich nicht aus. Ein junger Mann schreit seinen Namen. "Yes yes
I can hear you well", antwortet er, lacht, zieht aus seiner rechten
Jacketttasche die Mundharmonika, setzt sie in die Halterung "I think you have
the wrong man". Er will hier nur schnell sein Lied singen. "This is called hey
Mr. Tambourine Man".
"Please play a song for me", hängt er noch an, als müsste
er sich selbst noch mal des Titels versichern. Er sieht aus wie jemand, der in
der linken Tasche seinen Autoschlüssel hat, um notfalls schnell zu flüchten.
Am 21. Mai 2014 sitze ich am
offenen Fenster und schaue mir das Video 27 Mal auf Youtube an. Ich sitze am
Fenster, um notfalls schnell zu flüchten.
Nebenan mäht jemand Rasen, immerzu
mäht nebenan jemand Rasen. "Mein Mann und ich wir streiten uns darum, wer den
Rasen mäht", sagte heute früh eine Kollegin im Laden, und rauchte. Ich rauchte nicht,
wünschte mich zurück ins Bett, wo mein Mann noch schlief.
Später missfiel ihr die Musik, die
ich zum Aufbauen einlegte, "da schlaf ich gleich wieder ein".
Hey Mr.
Tambourine Man, play a song for me, in the jingle jangle morning I’ll come
followin’ you.
Ein früherer Mitbewohner nannte
meinen Musikgeschmack gerne "moll". Moll hieß für ihn: Traurige Männer, die eine Gitarre in der
Hand halten und Holzfällerhemden tragen. Er selbst hörte Musik, die sich im
Dur-Bereich abspielte: Ska, Elektro, Punk, Rock. Einmal hatte ich ihn zu einem "New Model Army"-Konzert gefahren. Kurz gesagt: Für seine Musik brauchte man
ein Handtuch, für meine eine Packung Taschentücher. Das ist bis heute so
geblieben.
Meine Kollegin war vor ein paar Wochen auf einem Peter Maffay
Konzert, das – so betonte sie es – "richtig rockte". Ich glaube wir haben
unterschiedliche Auffassungen von "richtig rockte".
Ich frage sie, ob ich die
Oliven in Lake auffüllen soll und sage nicht: auf der neuen Maffay-Platte ist
ein halbes Bob Dylan Cover, habe ich gelesen.
Um 6 Uhr 45 nehmen wir
Styroporplatten von der Kühltheke und decken Würste auf und Käsestücke, als
müssten auch sie erst geweckt werden. Dass ich müde Augen habe, sagt die
Kollegin und ich, dass noch zwei Stunden Zeit sind, bis die Kundschaft
kommt.
"Hey Mr. Tambourine Man play a song
for me", singt Bob Dylan ins Mikrofon und will schon wieder zum
Mundharmonika-Spiel ansetzen, als ihm einfällt, dass die Zeile noch weiter geht. I’m not sleepy and there is no place I’m going to.
Er ist 23 und große Auftritte noch
nicht gewöhnt. Sein Vorbild Pete Seeger sitzt hinter ihm, wippt mit den Knien. Er hat ihn hier her gebracht. So
ist das: jemand oder etwas muss einen an Orte bringen, die man noch nicht
kennt, dort stehen muss man dann allein und ohne Verstärker.
In Newport ist ein aufziehendes
Gewitter im Hintergrund zu hören.
Ein Wind fährt durch Bob Dylans Kraushaar.
Hier scheint die Sonne und es ist
viel zu warm für Mai und ein aufziehendes Gewitter würde mich nicht wundern.
Ich bin nie von zu Hause ausgerissen, nur einmal habe ich damit gedroht, und
auch schon eine Reisetasche aufs Bett geworfen. Meine Mutter war verwundert, so
verwundert wie sie es heute ist, dass ich jetzt Brot und Käse verkaufe.
Dass ich wirklich abhaue, hat
sie mir auch nicht geglaubt. Dafür kannte sie mich zu gut. Wahrscheinlich haben
wir geredet, ein bisschen geheult, uns umarmt und dann ist sie zurück ins Büro
gegangen und ich habe in mein Tagebuch geschrieben. Vermutlich war die Vorstellung
vom Ausreißen, die Drohung schon genug.
Ich stelle mir vor, wie unglaublich
schwer es sein muss, gleichzeitig Gitarre und Mundharmonika zu spielen und
dazwischen zu singen und wie unglaublich gut es sein muss,
wenn man es kann.
Ich steige aus dem Fenster und hänge Wäsche ab. I’m ready to
go anywhere, I’m ready for to fade into my own Parade.
Ach Jess. Du musst (bzw. da man niemals etwas müssen soll: solltest) öfters solche Texte schreiben. Oder veröffentlichen. Und ich muss (gleiches Problem wie oben: sollte) Deinen Blog wieder mehr verfolgen.
AntwortenLöschenWieauchimmer // :) für die schönen Worte.